Vielstimmiges Russland

Im Interview mit Flo Osrainik verdeutlicht Ilia Ryvkin, ein russischer Journalist, der in Berlin lebt, dass seine Landsleute keine gleichgeschalteten Putin-Untertanen sind.

„Russendämmerung“ heißt das neue Buch von Ilia Ryvkin. Offenbar handelt es sich eher um eine Morgendämmerung, denn bei der Lektüre hat man überhaupt nicht das Gefühl, dass es mit dem Land abwärts geht. Im Gegenteil ist das Russland von heute geprägt von Pluralität und lebendigen Debatten. Es ist meist der Westen, der alles so stark vereinfachen möchte. Russland selbst ein Riesenland. Alles breitet sich aus. Es passt sehr viel Verschiedenes hinein wie in einen der großen russischen Romane. Ryvkin erklärt im Interview mit Flo Osrainik, dass kein Westler Russland lieben „müsse“, dass gerade Deutsche aber auch gut daran täten, ihre eigene Identität gegen transatlantische Vereinnahmung zu schützen.

von Flo Osrainik

Flo Osrainik: Ilia, du bist ein Russe, der in Berlin lebt, Dramaturg, Journalist und vor wenigen Wochen, Ende September 2023, ist dein drittes und neuestes Buch, „Russendämmerung“, erschienen. Zuvor hast du zwei kleine lyrische Bücher geschrieben. Zunächst: Wie lebt es sich in letzter Zeit als Russe und noch dazu als kritischer Mensch in Berlin und wie kam es nun zu diesem dritten Buch? Was hat den Ausschlag dafür gegeben?

Ilia Ryvkin: Die in diesem Buch versammelten Texte haben unterschiedliche Genres. Ihr gemeinsamer Faden ist die Erkundung des europäischen Ostens. Sie stammen aus den Jahren 2014 bis 2022; damals wurde gesät, jetzt wird geerntet.

Wie lebt es sich als Russe und kritischer Mensch in Berlin? Nun, berlinerisch, russisch, kritisch, eigentlich gut! Ich zitiere mich selbst aus dem Oeuvre:

„Die letzten goldenen Herbsttage verlebte ich in Berlin allein, die letzten Stadtbewohner, mit denen ich mich austauschen konnte, hatten die Stadt schon verlassen. Offensichtlich muss ich härter arbeiten, um mit der Stadt mittels meiner Bücher zu kommunizieren.“

Hier im Westen versucht man, alles auf den Punkt zu bringen. Deshalb ist das Tweet-Format so beliebt. Die Russen hingegen haben ein anderes Verständnis von Umfang und Länge. Dort kommuniziert man noch mit Büchern. „Krieg und Frieden“ — und dann kommen tausend Seiten. Oder sind es zweitausend?

Der Ausschlag für das Buch? Ich habe bemerkt, dass seit Beginn der aktuellen politischen Krise alle russischen Stimmen in diesem Land verstummt sind. Das im besten Fall. Andere haben sich für Selbsthass und Kriegshetze instrumentalisieren lassen. Das war cringe (= zum Fremdschämen)! Dann ist mir, einem Autor, der seit Jahren als regierungskritisch galt, nichts anderes übrig geblieben, als mich für mein Volk zu Wort zu melden. Und dieses Volk hat einiges zu erzählen.

Welche Städte und Regionen hast du in dieser Zeit denn alles bereist und was haben die Menschen über die politischen Ereignisse, die Umstürze oder Umsturzversuche und den Krieg im Osten anderes zu erzählen als der westliche Mainstream?

Ich habe den Donbass, Weißrussland, Moskau, Sankt Petersburg und ein Kloster hinter dem Ural bereist. Später wollte ich zurück in den Donbass, schaffte es nicht gleich, und dann kam ich auf die Krim. Der Donbass ist der Anfang und das Ende der Reise, dort blutet mein Herz. Ach ja, dazwischen gibt es noch eine Rückblende auf den Maidan-Platz in Kiew und auf Odessa 2014, als dort Menschen verbrannt wurden.

Was erzählt man im Osten so? Nun, ich habe versucht, eine möglichst vielfältige Meinungslandschaft darzustellen. Ich spreche mit der Großmutter an der Bushaltestelle, mit dem Taxifahrer, mit einem liberalen Präsidentschaftskandidaten, mit einem kommunistischen Abgeordneten, mit einer Transsexuellen, mit einem militanten Schwarzhunderter (1). 

Nicht wie in der hiesigen Presse, die versucht, die unglaubliche Komplexität des russischen Lebens auf einen leeren Nenner wie „Putin“ oder „Kreml“ zu reduzieren. Es wird alles Mögliche gesagt. Interessanter ist, worüber man lieber schweigt. 

Als ich zum ersten Mal im Donbass war, merkte ich, dass man mit Fremden nicht gerne über Politik redet. Wenn man sich gegen die ukrainische Regierung ausspricht, wird man bestraft. Auf der anderen Seite agiert der prorussische Untergrund, der zuhört. Aus einigen Aussagen konnte man Rückschlüsse ziehen. Zum Beispiel hat mir ein Mädchen von sexueller Gewalt durch ukrainische Soldaten erzählt. Sexuelle Gewalt sollte man überhaupt nie und niemandem antun, aber die Besatzer tun es den Besetzten an, den Frauen des eigenen Volkes tun sie es erfahrungsgemäß nicht an. Das war für mich ein erstes Zeichen, wer dort als Besatzungsmacht und wer als Befreier gilt.

Ansonsten wird der Leser merken, dass ich die russischen Verhältnisse durchaus kritisch sehe, wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive, als es der Westen tut. Ich meine damit Tendenzen, die auf ihre Weise der globalistischen Agenda entsprechen. Und da bleibe ich kritisch.

Und worin unterscheidet sich deine kritische Sicht auf die „russischen Verhältnisse“ von der westlichen Sicht und antirussischen Propaganda?

Die Russische Föderation ist eine Demokratie, in der es lebhafte interne Debatten zu sämtlichen Themen gibt. In der Gesellschaft und im Staat wird eine vielfältige Palette von Meinungen akzeptiert. Während der Coronakrise hat sich die Regierung in Moskau aber nicht wesentlich anders verhalten als hier im Westen. Doch die Nuance lag in der Existenz einer unverfälschten Opposition, fernab jeglicher internationalen Einflussnahme von Stiftungen und Denkfabriken. Ich denke hier sowohl an die kommunistische Partei als auch an die Kirche. Mit dieser sozialkonservativen Kritik kann ich mich durchaus identifizieren. 

Selbst in der gegenwärtigen Zeit erhebt der russische Patriarch seine Stimme gegen die unaufhaltsame Digitalisierung des öffentlichen Lebens. Vor Kurzem äußerte er bei der Amtseinführung des Moskauer Bürgermeisters, einem bekannten Verfechter der Digitalisierung: „Roboter sollten niemals die Oberhand über die Menschheit gewinnen.“ Der Patriarch ist der Ansicht, dass ein herausragender Staatsmann sich dadurch auszeichnet, dass er sein Volk mit Herz regiert. 

„Und das kann nicht anders sein. Roboter mögen die ihnen vom Menschen zugewiesenen Aufgaben erfüllen können, aber sie sind unfähig zu empfinden. Daher werden Roboter niemals Menschen, insbesondere keine Menschenmengen leiten können.“

Da drängt sich die Frage auf, warum die religiösen Oberhäupter des Westens nicht zumindest gelegentlich Bedenken gegenüber dem transhumanistischen Eifer für die Digitalisierung äußern.

Entscheidend ist doch auch, wer die „Roboter“ wie programmiert, besitzt und steuert. Aber zurück zu deinem Buch. In deinem poetisch-politischen Reisetagebuch hast du den Krieg im Osten und die globale P(l)andemie mitgenommen.

Wenn wir schon bei den Unterschieden sind und nun mit etwas zeitlichem Abstand: Sind die Menschen im Osten Europas auf das mörderische „divide et impera“ mit Angst vor allem Möglichen wie Viren im Großen und Ganzen nicht genauso hereingefallen wie im Westen, oder welche Unterschiede hast du bei deinen Reisen festgestellt? Und denkst du, dass die Menschen in Russland, aber auch der Kreml, das beim nächsten Mal wieder mitmachen, etwa um der WHO zu gefallen, anstatt auszutreten und diese ferngesteuerte, korrupte und antidemokratische „Gesundheitszentrale“ ein wenig zu entmachten?

Ja, das ist die Frage. Was kommt in der nächsten Zeit auf uns zu? Pest, Krieg, was steht als Nächstes in der Offenbarung des Johannes oder welche Lektüre haben unsere Möchtegern-Demiurgen zur Hand?

„I’m very imprinted by Christians“, sagte vor Kurzem Yuval Harari. Es ist aber auch möglich, dass sie von anderen Quellen inspiriert sind: von der Zombie-Apokalypse, von einer UFO-Invasion, vom Aufstand der Roboter. Was die erwähnten „Roboter“ betrifft, bin ich anderer Meinung: Technologie ist nicht neutral, egal wer sie besitzt und programmiert. 

„Künstliche Intelligenz“ ist keine Intelligenz in dem Sinne, dass sie das System, in dem sie agiert, komplexer machen würde. Ich verstehe in etwa, wie selbstlernende Algorithmen funktionieren; sie tun nur das, was man sozusagen normalerweise tut, und zwar so, wie man es erfahrungsgemäß tun würde. Martin Heidegger sprach vom „das Man“, einer Kategorie, die sich als entfremdete Daseinsweise offenbart. Darin manifestiert sich eine Form von Unfreiheit und Uneigentlichkeit, wenn es sich in die vorgegebene Norm einfügt und alles tut, was dieses „Man“ diktiert. „So sitzt man, so pfeift man.“ Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine betreute Denksimulation.

Ernst wird es, wenn der Algorithmus ethische Entscheidungen treffen soll. Nehmen wir eine Frage aus der Fahrschule: Du fährst eine Straße in den Bergen entlang, rechts ist eine Bushaltestelle voller Menschen, links ein Abgrund, ein Kind läuft über die Straße. Was sollst du tun? 

Die richtige Antwort lautet: das Kind überfahren. Das Leben vieler Erwachsener ist wertvoller als das Leben eines Kindes. Du kannst immer noch selbst in den Abgrund fahren, aber es wird nicht verlangt, dass ein Mensch Selbstmord begeht. Man ist nicht dazu verpflichtet, es zu tun, aber es besteht in der Praxis die Möglichkeit dazu, solange ein Mensch am Steuer sitzt. Wenn das Auto aber von einer KI gesteuert wird, wird das Kind mit hundertprozentiger Sicherheit überfahren. Und letztlich ist es egal, wer der Betreiber und Programmierer war, ob Globalisten, Anarchisten oder Patrioten. Das Kind wird überfahren. In diesem Fall gibt es keine Option der Selbstaufopferung. Jedoch ist das noch nicht der Roboter, der dich durch Moskau fährt, sondern ein Einwanderer aus Zentralasien. Das ist aber ein anderes Thema.

In Moskau findet man aber auch einen Dr. Ginzburg, der seine Ware „Sputnik“ feilbieten muss. Die Verhältnisse hier ähneln in gewisser Weise unseren eigenen, jedoch unterscheiden sich die Verhaltensstrategien des Volkes gegenüber den Obrigkeiten. Diese Unterschiede wurzeln tief im Mittelalter. In europäischen Städten war das Leben nicht immer idyllisch, aber das Gesetz bot den Bürgern klare Vorteile, im Vergleich zur Aussicht, vogelfrei zu sein. 

In Russland hingegen, seit den Zeiten des Tatarenjochs und der Goldenen Horde, erwartete man von der Obrigkeit nicht immer Gutes und Vernünftiges. Dennoch gab es Wälder und Steppen, in denen Andersdenkende und Freigeister seit jeher Zuflucht fanden. 

Auch in der gegenwärtigen Krise befolgen die meisten Europäer entweder die Corona-Auflagen gehorsam oder stellen sich der Diktatur frontal entgegen. In Russland hingegen stößt die Einhaltung der Maßnahmen auf breite, allumfassende Sabotage. Selbst Polizisten — Menschen und, ja, auch Russen — nehmen es mit der Kontrolle nicht immer so genau. Als ich an einem Kontrollpunkt vorbeiging, an dem Zertifikate geprüft wurden, riet mir ein Polizist: „Schauen Sie, da rechts ist eine Videokamera. Zeigen Sie einfach kurz etwas vor und gehen Sie rasch weiter!“

Im Westen besteht außerdem oft Unklarheit über die Bedeutung des Begriffs „Kreml“. In dieser festungsähnlichen Anlage befinden sich verschiedene Türme, mit denen die verschiedenen Machtzentren innerhalb der politischen Struktur des Landes bezeichnet werden. Der russische Präsident ist keineswegs ein alleinherrschender Diktator; vielmehr agiert er als Vermittler und Schlichter zwischen diesen „Türmen“. Von diesen haben einige mehr und andere weniger enge Verbindungen zu den Institutionen der globalen Finanzoligarchie. 

Ein Beispiel hierfür findet sich im „Gesetz über die Zentralbank der Russischen Föderation“, das besagt, dass „die Zentralbank die Verwahrstelle des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Währung der Russischen Föderation ist“. Die russische Zentralbank hat die Aufgabe, die Geldpolitik in der Russischen Föderation zu steuern, bleibt jedoch ein privates Unternehmen. In ihrem Verwaltungsrat finden sich ehemalige Exekutivdirektoren des IWF für die Russische Föderation, Absolventen und Doktoranden von amerikanischen Universitäten, Mitglieder globaler Denkfabriken, leitende Angestellte von Beratungsagenturen und Personen mit Positionen in multinationalen Unternehmen. 

Dagegen versuchen während der letzten Monate auch souveräne Kräfte zunehmend, die Initiative zu ergreifen. Der mögliche Austritt Russlands aus der Weltgesundheitsorganisation stehe nach dem Abbruch der Beziehungen zum Europarat „auf der Kippe“, so Pjotr Tolstoi, stellvertretender Sprecher der Staatsduma. Er wies darauf hin, dass es internationale Strukturen gebe, die versuchten, dem Land Ideen und Regeln aufzuzwingen, die nicht den russischen Werten entsprächen. Dies alles führe zur Frage, ob Russland noch einen Platz in dieser Organisation haben sollte. Allerdings hat Tolstoi bisher nur wenige Fürsprecher — das Gesundheitsministerium stellt sich seiner Initiative in den Weg. Gesundheitsminister Michail Muraschko äußerte sich am 17. Juli 2023 in der Staatsduma zu diesem Thema und betonte die Bedeutung der Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Prävention von Epidemien und Pandemien.

Macht und Geld werden ja nur selten freiwillig abgegeben, und die geopolitischen Kräfte stoßen in dieser Welt auf vielfältige Weisen aufeinander. Der Konflikt zwischen dem russischen Volk und der globalen Finanzoligarchie entfaltet sich auf verschiedenen Ebenen, wobei die entscheidende Auseinandersetzung in den Schützengräben bei Awdejewka, Saporoschje und auf den Inseln am Dnjepr ihren Höhepunkt findet.

Was die KI angeht, so stimme ich zu. Allerdings setze ich „Technologie“ oder eben „Roboter“ nicht automatisch mit dem gleich, was unter einer KI verstanden wird, da die KI den „Roboter“ ja erst „intelligent“ machen soll, worin auch die beschriebene Gefahr des betreuten oder systemkonformen Denkens besteht. Und die Freiheit, alles Mögliche zu tun oder zu versuchen, bevor ich einem Kind auch nur ein Haar krümme, lasse ich mir von nichts und niemandem und auch keiner Macht und Maschine der Welt nehmen oder vorschreiben.

Aber wenn wir schon bei der Macht und dem Geld sind: Steuert die transatlantische Finanzoligarchie, die gerne alle Konflikt- und Kriegsparteien finanziert und sich so gefügig macht, nicht auch Moskau, wie womöglich die Beispiele des Moskauer Bürgermeisters oder des Gesundheitsministers zeigen, oder kann man gegen den Great Reset mit Unterstützung aus dem Osten rechnen? Und was hat es eigentlich mit dem Buchtitel „Russendämmerung“ auf sich, was ist damit gemeint?

Ich bin im Protestumfeld immer wieder auf die merkwürdige Vorstellung gestoßen, der Russe würde den Menschen hier Freiheit und Souveränität auf dem Silbertablett servieren. Ich sage, mit einer militärischen Intervention seitens Russlands ist in Europa definitiv nicht zu rechnen. Das steht außer Frage. Kein russischer Soldat soll mehr für fremde Interessen sein Leben lassen, so lautete die politische Philosophie unseres Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn, der sich auch Präsident Putin verschrieben hat. „Russian lives matter“, aber auch „Russia first“. Die Ära des politischen Messianismus, einer „Allbetroffenheit“, so wie bei Dostojewski, ist vorüber.

Ganz ehrlich, schuldet ein Volk, das unter den Bombardierungen der NATO leidet, den Europäern, die es nicht einmal schaffen, in den letzten Monaten tausend Mann für eine Antikriegsdemo zu mobilisieren, noch Unterstützung? 

Wäre es nicht fair, die Frage umgekehrt zu stellen? Nicht dass jemand Russland-Fan werden muss, politische Vorlieben dieser Art sollten die Mitbürger nicht einmal tangieren. Ich spreche nicht davon, „prorussisch“ zu werden, sondern einfach nur souverän zur eigenen Freiheit und Identität zu stehen. Diese Haltung ist trotz aller traumatischen Geschichte die Grundlage für einen Dialog der Völker auf Augenhöhe.

Der Titel „Russendämmerung“ ist eine Anspielung auf den Namen einer Kneipe, die während der Coronazeit trotz Sperrstunde heimlich weiter betrieben wurde. Auch davon wird im Buch erzählt.

Im Englischen gibt es für Morgengrauen und Abenddämmerung unterschiedliche Wörter wie „dawn“ und „dusk“ — im Russischen hingegen teilen sie sich dasselbe Wort. Niemand kann vorhersagen, wie sich die Lage entwickelt.

Betrachten wir das Herrschaftssystem der 200 reichsten Familien der Welt — allumfassend und unglaublich brutal. Allein seit dem inszenierten 11. September sind ihren Kriegen rund 4,5 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, ganz zu schweigen von den Opfern des Impf-Genozids. Ihre Macht ist allgegenwärtig und stützt sich nicht nur auf NATO-Armeen und westliche Geheimdienste, sondern auch auf das Finanzsystem, IT-Infrastrukturen, die mediale Lügenmaschinerie, Hollywood und die Popmusikindustrie. 

Mit einem Knopfdruck in Kalifornien könnten sie jeden Europäer mittellos machen, ganze Städte, ja Länder ohne Strom und Kommunikation in tiefste Barbarei stürzen. Die Straßenbahnen in Rostock oder die Polizei in Linz werden von einer Software gesteuert, die von diesen Familien kontrolliert wird. Und der Mensch ist gar nicht in der Lage, diese Macht zu erkennen oder zu reflektieren, weil sie durch ihre Dominanz in Bildung, Wissenschaft und Politik auch eine diskursive Hegemonie ausüben. Sie versuchen, den Menschen nach ihren Vorstellungen zu formen. Er ist für sie ein „hackable animal”, wie es Yuval Harrari ausdrückt.

Doch plötzlich gerät diese nihilistische Machtmaschine ins Straucheln und beginnt zu entgleiten. Der russische Soldat stellt sich ihr in den Weg. Ich vergleiche dieses Ereignis mit einem plötzlich am Himmel aufscheinenden Dämmerlicht.

Nun bedanke ich mich für das Gespräch, möchte allerdings noch kurz ergänzen, dass Russland dem Westen, speziell Deutschland, diesbezüglich gewiss nichts schuldet. Es verhält sich eher andersherum, denn mit „Unterstützung“ war ein Ausscheren aus genau jener globalen Agenda und ihren zweckentfremdeten sowie ferngesteuerten gesellschaftspolitischen Frontorganisationen wie der WHO oder der UN gemeint, eben das Bilden von Alternativen und Gegenpolen, ob politisch, gesellschaftlich oder kulturell.

https://www.manova.news/artikel/vielstimmiges-russland

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Interview an „Sezession“ 27.09.23

“Russendämmerung” – ein Gespräch mit dem Autor Ilia Ryvkin

SEZESSON: Herr Ryvkin, Rußland ist nach gut 30 Jahren zurück als Endgegner Europas. Wird Ihr Buch Russendämmerung – es ist im Jungeuropa Verlag erschienen – die deutsche Rechte vom Gegenteil überzeugen?

RYVKIN: Als ich anfing zu schreiben, hatte ich nicht einmal daran gedacht. Mein Ziel war rein literarischer Natur, ein persönliches Zeugnis über die dortigen Zeitläufte abzulegen.

SEZESSION: Es handelt sich eher um einen Reisebericht durch Osteuropa. Mal anekdotisch, mal politisch, mal poetisch …

RYVKIN: Ich gebe mich nicht der Illusion hin, objektiv zu sein, nein, natürlich hat der Erzähler einen ganz eigenen Blickwinkel. Seine Ansichten würden hierzulande als patriotisch-konservativ gelten. Keine Frage. Dennoch sehe ich einen Unterschied zwischen Literatur und Propaganda, der darin besteht, daß in der Literatur, unabhängig von den Ansichten des Autors, immer eine gewisse Kluft zwischen seiner Stimme und der politischen Agenda besteht.

Dazu hatte ich beim Schreiben eine Leserschaft vor Augen, die in keine politische Nische paßt. Ich habe das Buch so geschrieben, daß meine Eltern es ihren Nachbarn zu Weihnachten schenken können.

Was den heutigen Konflikt betrifft, so muß man die Russen nicht mögen, aber vor allem die Rechten sollten merken, daß das ganze Unheil im heutigen Europa aus einer anderen Richtung kommt, nein, nicht Rußland ist der Feind Europas. Wem das noch nicht klar ist, dem habe ich auch nicht viel zu sagen.

SEZESSION: Und Sie nehmen quasi für sich in Anspruch, daß das getrennt zu betrachten ist, im Buch Russendämmerung – also da ist der Erzähler und da sind Sie als Person?

RYVKIN: Ja, es ist ein authentisches Zeugnis, ich versuche in allem, was ich schreibe, ehrlich zu sein, und nein, es ist keine Dokumentation im eigentlichen Sinne. Es ist die Widerständigkeit des Materials und die Gesetzmäßigkeiten des Genres, die es ausmachen.

SEZESSION: Was macht diese „Widerständigkeit des Materials“ aus?

RYVKIN: Daß selbst die Ereignisse, von denen ich spreche, eine solche, kaum wahrnehmbare Zweideutigkeit erzeugen. Die Geschichten aus dem Donbass könnten reine Fiktion sein, aber sie sind wahr.

SEZESSION: Mit Heimat Europa wurde 2022 – ebenfalls im Jungeuropa Verlag – ein Reisebericht Pierre Drieu la Rochelles veröffentlicht, der einige Parallelen zu deinem Buch aufweist. Mit einem Unterschied: Drieu la Rochelle bereiste ein anderes Europa, das es nun nicht mehr gibt.

RYVKIN: Auch für Drieu la Rochelle beginnt Europa in Argentinien. Seine Bemerkungen über die damalige UdSSR sind brillant, aber eher im Kontext eines westeuropäischen Diskurses über den neuen illiberalen politischen Stil zu lesen.

Ich würde einen anderen Namen nennen. Von der damaligen sowjetischen Regierung wurden „progressive“ Schriftsteller nach Moskau eingeladen. Sie fuhren mit einem Dampfer den Weißmeerkanal hinab und schrieben begeistert über die ekstatische Arbeit der Massen zum Wohle des Sozialismus. Nur einer von ihnen bemerkte, daß sich um ihn herum ein richtiges Konzentrationslager befand. Das war Louis Ferdinand Céline. Einer der Häftlinge, die den Weißmeerkanal bauten, war mein Urgroßvater, daher meine persönliche Beziehung zu ihm. Es hilft mir, daß ich die Sprache kenne, daß ich verstehen kann, was irgendeine Großmutter an der Bushaltestelle sagt.

SEZESSION: Was macht das Dreieck Minsk-Kiew-Moskau so anders als den Kosmos, in dem man sich in Berlin bewegt?

RYVKIN: Minsk ist die „europäischste“ der drei Städte. Alles ist sauber, nicht so wie in Berlin. Auch vom Phänotyp der Stadtbewohner … Darf man das überhaupt ansprechen? Kiew ist die Mutter der russischen Städte, sie hat etwas ewig Weibliches, ja sogar etwas Hexenhaftes an sich. „Die Stadt“ par excellence, wie Bulgakow sie in seiner Weißen Garde nennt.

Auch Moskau – hier spürt man den Puls der Zeit, wenn nicht politisch, dann wirtschaftlich, finanziell, kulturell. Von allen dreien ähnelt das Stadtgefühl in Berlin eher dem in Kiew. Es ist das Gefühl einer gewissen Anarchie, das berauschend ist, aber auch beunruhigend.

SEZESSION: Beunruhigend, weil Gefahr droht?

RYVKIN: Ich will nicht die Kassandra spielen.

SEZESSION: Kürzlich bezeichnete die AfD-Sprecherin Alice Weidel den 8. Mai als „Niederlage“ Deutschlands. Gleichzeitig tritt Deutschland als starker Unterstützer Kiews im aktuellen Krieg auf. Vergrößern sich die Gräben zwischen Russen und Deutschen wieder?

RYVKIN: Ja, das geschieht definitiv. Ich unterhalte mich mit Verwandten vor Ort, mit ganz normalen Menschen. Die Beziehung zu den Deutschen war bis vor kurzem trotz allem immer wie die zu einem engen westlichen Nachbarland und einem soliden Partner. Die Lieferung der Leopard-Panzer hat jedoch einen tiefgreifenden Bruch verursacht. Verständnis dafür findet man nicht mehr. Einige wurden durch die Panzerlieferung dazu motiviert, freiwillig an die Front zu gehen. Nichts ist vergessen, das ist meine Beobachtung.

SEZESSION: Und nun?

RYVKIN: Ein Donezker Intellektueller, im Buch „Dandy“ genannt, sagte mir kürzlich, daß ein souveränes Deutschland bereits ein Garant für den Waffenstillstand in der Ukraine sein könnte. Obwohl Extremisten auf beiden Seiten das Minsker Abkommen schlechtreden, hat es dazu beigetragen, daß die Beschußintensität im Donbass jahrelang relativ gering blieb. Die damalige Bundeskanzlerin hat zugegeben, daß sie diese nicht ernst genommen und nur benutzt hat, um die Ukraine zu militarisieren. Das muß wiedergutgemacht werden.

https://sezession.de/68165/russendaemmerung-ein-gespraech-mit-dem-autor-ilia-ryvkin

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