die zukunft… Übersetzung Irina Bondas

die zukunft blickt auf den jungen
schneebedeckte kilometer seeoberfläche kubikkilometer
gefrorenen nebels luft wasser und erde küssen sich
nicht das feuer – die spiegelung im schwarzen see – frost
bindet die atome meines körpers gefühlt ist er nasser
schnee aber brennt
eine feuerleiter bei minus vierzig dann ziehen wir eben
vierzig ab
der unförmige körper verwischt die traktorenspur
zersetzt die zeitung
auf der ersten seite das pflanzenfront-manifest weiter
mit meldungen von sabotageakten und anhaltendem
partisanenkrieg

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Pfingstrose. Übersetzung Irina Bondas

weißt du noch die pfingstrose
korallenrot unbemerkt
bei jeder umdrehung
der gilbenden sonne
verblassend wie der verstand
der schleier über den adern nur
des nachts feuervogel
am grünen ufer steigt
ans träge blumenblut
wasser
sein gesang grell
rundförmige bemalung
an der oberfläche der vase
reicht nicht bis zum unteren rand
in einem jahr das blütenblatt
im öligen see des erinnerns
wir unter wasser
untief in ewigkeit

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Flüchtling. Übersetzung Irina Bondas

ein mann südasiatisches aussehen etwa dreißig jahre alt
körpergröße unter dem durchschnitt körperstatur sehr
schlank haare gerade schwarz dunkle haut kein bartwuchs
ovale gesichtsform mandelförmige schmale augen
irisfarbe schwarz die augen dunkel nase mittelgroß und
gerade volle lippen die oberlippe ohne besonderheiten
breiter mund große ohrmuscheln mit angewachsenen
ohrläppchen

nähert sich an der kreuzung mit düsterem blick bittet um
essen wir gehen zusammen in den supermarkt kaufe brot
bananen wasser bier lehnt der unbekannte ab sagt er sei
aus pakistan wolle asyl beantragen aber die zuständige
behörde hätte heute geschlossen übernachten will er auf
dem kleinen platz wo sie dealen und beten eines abends
hallte aus dem dunkeln des parks der ruf des muezzins
er war nichtig ohne einen namen und wusste nicht wozu
er geschaffen war

nein kleinste partikel schmutz sind wir getragen von orkanartigen wehen des allerhöchsten

er war es nicht mein bekannter der gestern mit einem
lastwagen in die menge fuhr menschen mit ihren kindern
inmitten von schokoäpfeln lebkuchenhäuschen und
glasengeln

berlin , 20.12.2016

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äquinoktium. Übersetzung Irina Bondas

dieses luftbeben über kies zum kreischen des abfahrenden
zuges gesellt sich zikadenwechselgesang der zug selbst
eine große zikade die kuh antwortet der lokpfeife
wie ist doch das wort wein rose hopfen kranz perlen
faden
stoff glimmender stimmblätter diese betrachterin
dank der wir uns im schein der goldenen flamme spiegeln

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Moskau. Übersetzung Irina Bondas

pro fünfeckigem tag mal eine quadratelle viertausend
siebenhundert siebzig komma acht zwei stadtbewohner
ihre möglichkeiten sind beschränkt geriffelte platten
sagen geh steh zum blinden der windzüge sattelt unterwegs
zum zentrum des labyrinths ariadne wirft den
garn und probiert die gestirnskrone vor dem schwarzen
spiegel an ein sonnengegerbter mensch in orangener
weste legt ein ornament aus taktilen platten so
webte seine großmutter mit einer hakenartigen nadel
teppiche die inseitigen knoten schnürend phönix und
das fliegende herz die gazelle der geliebte wird finden
mich an den linien des musters
regen wäscht geriffeltes pflaster es verrät dem blinden
nicht wohin und wie ewig irrend durch das labyrinth tadschikischer
rosen

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Semenowka. Übersetzung Irina Bondas

im morgengrauen knattern die gewehre gleich elstern
zweigstümpfe gelöcherter kirschbäume
salutieren dem camouflierten gestirn
halden baden im nebel der schmale fuß
kleopatras taucht in kamelmilch die wanne geschultert
von nubiern hier sind selbst pyramiden schwarz
das wesen der waffe ist tilgungsverklärung
enthüllungen der armatur korrosion
im beton zentimetertief dieselbe legierung
gitter über schmalen fenstern der psychiatrischen anstalt
in semjonowka rückten später russen ein
und tränen eingesperrter verrückter
vergossen in die explosionsschmelze
aus aluminium was kümmert dich die trägheit
der sonne schwarz leuchtend vor koks
strahlen auf ruinen sowjetischer bauwerke
serapis’ kuss spur des barbarenstiefels ist nichts
als ein merkmal der klassik sieh nur wie unser zwanzigstes
jahrhundert die neue antike einzig der freiheit
ein ende setzen müsste es dem schmerz erst quälend
dann in den körper dringend wie ein messer in butter
fahre damit im kahn über den verschneiten nil
genieße gerüche versengter haut unter glühendem eisen
für die brandmarkung der sklaven

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Osteuropa. Übersetzung Irina Bondas

in flugzeugen und im traum
dreihundert meter in einem
atemzug des passagiers
nicht mehr als wind
ein weitäugiger jugendlicher
übernachtet in hostels
bezüge vollgesogen vom körper
wie der autor vom sprechen
das laken als flächenmarkierung oder
kadaver des festlands da
die falte osteuropas
nichts intimer als grenzen
unsere beziehungen sind oberflächig
das gegenseitige vermessen von grundfläche
von qm haut auf der karte der check-ins
durch punktlinien gekennzeichnet
vogelspuren
korfu odessa kiew
tallin berlin abendrot
kriecht hoch am bein
landet und hört
wie schlief es sich euer hoheit?

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Politische Gefangenen III, Übersetzung Irina Bondas

die frau stürmt den himmel. durst
zwingt den vogel ununterbrochen zu fliegen,
ohne berührung mit wasser, so lange
wie du ohne zu trinken überlebst.
das gestirn navigiert die blaue iris,
ermittelt bewegungen der kriegsgefangenen anhand
der koordinaten im magnetfeld der erde,
des kerosingeruchs, schwarzen öls.
variable pfeilstellung. die geometrie deines flügels
entspricht nicht den landschaften,
die geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem hasen
und dem auf ihn stürzenden falken.
phönix, mitglied des vogelparlaments,
geboren aus dem arbeiterkörper eines luftreaktiven
antriebs, du wendest deinen blick zurück
in die brennkammer der maschine richtung sonne.
doch das wort wiegt schwerer als luft, und die kraft
wirkt lotrecht zum geschwindigkeitsvektor, schwärze
bindet quarzkörner, mulm ist die
einheit im korps der engelsflieger.
sie prüft die richtigkeit deiner herzarbeit,
betrachtet die quadratunterteilte landkarte,
hält sich auf feindliche stützpunkte zielend
bereit zum luftangriff.

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Oranienburg. Übersetzung Irina Bondas

das kz mit dem grundriss eines dreiecks,
dessen seiten gleich sind und dessen basis
den goldenen schnitt zur winkelhalbierenden bildet.

in zwanzig linien, durchtränkt von formalingeruch
liegen die baracken aufgefächert, blütenblätter
einer unruhigen pflanze, wuchern eines traumes von onkologie.

bilden chöre eines antiken theaters.
das kinotheater ist gekoppelt ans kosmogramm.
der fragmentierte körper vom filmband

aus dem hause des deutschen herstellers ig farben
reagiert empfindlich auf grüne und gelbe strahlung.
kino ist immer schattentheater, der kürzeste zeigt

in richtung des wirklichen meridians.
ermittle daran den höhenwinkel der sonne.
das aufgemalte ziffernblatt über dem eingang zeigt

sieben minuten nach elf. das grau der wände löst sich
auf im hintergrund des grauen preußischen himmels,
doch bleibt liegen wie die leiche im schnee. die sonnenuhr –

die pupille einer schwarzen sonne – ordnet die umgedrehten
bilder tief in der höhle platons,
dessen koordinaten ein zellengitter,

justiert an der erdachse, bilden. das tragödientheater:
eine sonnenfalle. strahlen dringen
durch die emulsion auf zelluloidbasis

erreichen die unbeheizten baracken mit den einzelhaftzellen.
die wände schlucken auch im sommer die wärme.
in einer davon geht oder steht stepan

bandera. über dem feldbett die decke gestopft
mit stroh, sitzen ist nicht erlaubt. am tag
der sonnenwende fällt der schatten der erdachse

durchs tor auf die höchste kante im unausweichlichen
pfeil, von dem oleh olschytsch schreibt.
gefoltert vom hauptsturmführer wirsing, die ss-männer

wolf und schulze schlagen lange, tupfen den schweiß
ab, brechen die finger beider hände, rippen,
nase, geben den stock an den anderen weiter, um zu

verschnaufen. der gefolterte körper
produziert analgetika, die euphorie, halluzinationen
bewirken können. der riss in der wand erwacht zum leben.

der schmerz fließt bunt als schillernder film, vermischt sich
mit blutströmen im gesicht, fragmente der realität,
angepasst an die grenzen ewiger reiche,

kommen kollidierend in bewegung.
die plattentektonik, treiben menschlicher gründe,
bruch im text. das land marginalia liegt

hinterm erschlafften buchstaben. dort, in wilden mustern,
mutieren die blumen zu tieren mit offenen büchern,
engeln, zweischwänzigen nixen. große sterne, ukraine.

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Luther. Übersetzung von Irina Bondas

luther einanhalbmetergroß an der ecke
beusselstraße und wiclefstrasse
säule aus kalkstein ruß
schichtweise auf den regenflaschen

tropfen für angerußtes glas
gleich luthers gedanke für das dogma
niederschläge rechtwinklig gedreht
gedankenstrich wolke und pfütze einend

doch das glas wird nicht reiner aus wolken
auf dem weg zur erdoberfläche herausfallendes
wasser absorbiert staubkörner abgekommen
vom weg nach oben kleinste leichenpartikel

der wesen deren jedes einzelne zeugnis
ablegte über apostolat und ketzerei

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